Ornament und Multiple - der Akt als Objekt und Subjekt

Gunnar Schneider

 

Vom 04. September bis zum 06. November 2010 präsentiert die Galerie Saudade Ausschnitte der Ausstellung "akträume - fotografien von markus reck", die bislang in Freiburg im Breisgau, Hamburg und Dresden gezeigt wurde. Zu sehen sind Werke aus Recks Serien "Aktornamente" und "Aktmultiples", darunter auch mehrere neue Arbeiten, welche in Frankfurt erstmals ausgestellt werden.

In beiden Werkgruppen arbeitet Reck nicht mit professionellen Modellen zusammen, sondern mit Freunden, Bekannten und Kommilitonen, die seine Begeisterung für die Fotografie teilen. Für die so genannten "Aktornamente" stellen die Modelle lediglich ihren Körper für die Ausgangsfotos zur Verfügung. Gesichter sind nicht oder nur ansatzweise zu erkennen, wodurch die Identifizierung der Personen unmöglich wird. Reck führt hier Regie, bestimmt die Ausleuchtung und gibt klare Anweisungen. Er fotografiert Körperfragmente, setzt sie anschließend am Computer zu kaleidoskopartigen, an Mandalas erinnernde Objekte zusammen und erschafft auf diese Weise aus dem Vorhandenen etwas Neues. Durch Spiegelungen und Drehungen entstehen Gebilde, welche Assoziationen wie ein Tempelritterkreuz, ein Rad oder eine Blume wecken. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich dem Betrachter, dass es sich um menschliche Körperteile handelt. Der nackte Körper interessiert hier auf der formalästhetischen Ebene - als Objekt, welches potentiell unendlich viele Figuren in sich birgt, im Ornament neue Gestalt annimmt und somit außergewöhnliche Sichtweisen ermöglicht.

 

Ganz anders ist der Zugang bei der Werkgruppe "Aktmultiples". Den Aktornamenten diametral entgegen gesetzt wird nun nicht mehr dem Körper als Form gehuldigt, sondern der individuellen Person.

Reck verwendet den Begriff "Multiple" bewusst abweichend von dem, wie es normalerweise im Kontext der zeitgenössischen Kunst üblich ist: Keineswegs handelt es sich bei seinen "Aktmultiples" um künstlerische Arbeiten, die in besonders hoher Auflage hergestellt werden, wie man es beispielsweise von seriell produzierten Werken Warhols her kennt. Vielmehr verweist Reck mit der Bezeichnung "Multiples" auf seine Methode der Vervielfältigung eines oder mehrerer Aktmodelle in einem Innenraum oder einer Landschaft. Hierfür stellt er seinen Modellen lediglich eine Bühne zur Verfügung, indem er den Schauplatz der Handlung sowie die Position seiner Kamera definiert. Die Modelle haben für einen längeren Zeitraum die vollkommene Freiheit, den vorgegebenen Ort nach eigenem Ermessen zu bespielen, während Reck im Hintergrund bleibt und den Prozess der Selbstinszenierung in Einzelfotos dokumentiert. "Akt" bedeutet nun nicht mehr alleine die künstlerische Darstellung des nackten menschlichen Körpers, sondern, indem er seine Modelle frei im Raum agieren lässt, rückt Reck die Etymologie des Wortes in den Vordergrund (agere - lat. "handeln"). Statt den Modellen aufgesetzte Posen abzuverlangen, welche möglicherweise nicht ihrer Persönlichkeit entsprächen, beschränkt er sich so weit wie möglich darauf, deren Handlungen festzuhalten.

Anschließend werden die einzelnen Momente digital zu einem Simultanbild zusammengefügt. Aufeinander Folgendes erscheint gleichzeitig, wodurch sich für das Modell oder die Modelle unter anderem Möglichkeiten der Interaktion mit sich selbst ergeben. Am deutlichsten wird die Veranschaulichung des Prozesses im Aktmultiple X, welches neben den energiegeladenen Bewegungen einer Tänzerin vor einem Sandhügel gleichzeitig die Veränderung des Sonnenstandes während der Aufnahme dokumentiert: Indem sich die Ausrichtung der Schatten sukzessive ändert, wird das Modell zur Sonnenuhr und der zeitliche Verlauf trotz der imaginären Gleichzeitigkeit aller Einzelszenen offenbar.

 

Hier wird ein Voyeurismus bedient, welcher nicht mehr auf die Nacktheit der gezeigten Personen, sondern auf deren Menge abzielt: Es ist in lustvolles Schauen, bei dem ähnlich wie bei der Betrachtung eines Wimmelbilderbuches immer wieder neue witzige Szenen entdeckt werden können. Offensichtlich haben die gezeigten Personen großen Spaß, während sie im Raum agieren. Keineswegs ist ihre Nacktheit peinlich - im Gegenteil: Es ist eine positive Nacktheit, welche Freiheit und Souveränität impliziert. Einerseits sind Recks "Aktmultiples" vonseiten der Modelle zweifellos sehr persönliche Bilder, da sie sich aus unterschiedlichsten Perspektiven und bei unzähligen selbstbestimmten Handlungen unverhüllt präsentieren. Gleichzeitig verliert sich die Individualität der Einzelperson aber in der Masse. Zu vielfältig ist das Angebot, um sich lange auf eine einzelne Figur konzentrieren zu können. Stetig schweift der Blick des Betrachters und findet keine Ruhe, denn in den Bildern gibt es weder Anfang noch Ende. Es ist dies einer der Aspekte, welche die "Aktmultiples" von Markus Reck so spannend machen.

 

 

Quelle: Schneider, Gunnar, Ornament und Multiple – der Akt als Objekt und Subjekt, in: Ausst. Kat. akträume – fotografien von markus reck, hrsg. v. Schneider, Gunnar, Galerie Saudade, Frankfurt am Main 2010, S. 7-9.