Raum und Wiederholung in den Fotografien von Markus Reck

Samuel Dangel

 

Der Fotokünstler Markus Reck (*1976) befasst sich in seinen digital überarbeiteten Fotografien meist mit zwei Themen: Konfigurationen des Raums und Strategien der Vervielfältigung. Der reale Raum, der mittels einer Kamera in eine Zweidimensionalität übertragen wird, bleibt gemäß der Zentralperspektive, die auf einen Punkt hin fluchtet, erhalten. Unser an dieser Perspektive geschultes Auge vermag in dieser illusorischen Tiefe einen homogenen Raum zu erblicken. Diese Sichtweise von Bildern, die sich seit der Renaissance etabliert hat und mit der Fotografie und den ihr folgenden neuen Medien zusehends zur unumstößlichen Alltagswahrheit verstetigt hat, wird von Markus Reck auf verschiedene Weise thematisiert. Und auch die Vervielfältigung von Bildern, die mit dem Druckverfahren in der Geschichte auftaucht und ebenso durch die Fotografie eine neue Dimension erfährt, greift der Künstler in seinen Arbeiten facettenreich auf. Ein weiteres verbindendes Element all seiner Serien ist ganz offensichtlich die Aktfotografie, deren historische und thematische Implikationen hier ausgeblendet werden sollen, um das Verhältnis von Raum und Wiederholung besser bestimmen zu können. 

 

Eine Auswahl von drei fortlaufenden Serien soll hier als Ausgangspunkt dienen, die Auseinandersetzung mit dem Raum und Vervielfältigungsstrategien darzulegen. Die erste Serie trägt den Titel „Akträume“, wie auch die erste Einzelausstellung des Künstlers im E-Werk Freiburg. Darin wird in einem schwarzen Raum, der seine Ausdehnung verschweigt, immer wieder dieselbe Person abgelichtet, die sich an verschiedenen Stellen befindet und verschiedene Gesten und Haltungen einnimmt. Die zweite Serie „Aktornamente“ zeigt nackte, mehrfach gespiegelte Körper, die so zu einem Ornament werden. Die dritte Serie der „Akttapeten“ nimmt solche Ornamente auf, verkleinert und vervielfältigt sie, um so zu einer Wand füllenden dekorativen Struktur zu gelangen.  

 

Räume 

 

Die „Akträume“ sind innerhalb der Serie nicht einheitlich. Hier zeigt sich schon, dass Reck seine Serien nicht starr konzipiert, sondern Variationen zulässt. Einer der frühsten Akträume von 2004 [Seite 55] arrangiert nackte Körper, ohne das Gesicht zu zeigen. Dieselbe Frau - liegend, sitzend, stehend - bespielt die black box vor der Kamera. Da der schwarze Umraum die Bildung eines fortlaufenden homogenen Raumes verhindert, sind die nackten Körper einziger Anhaltspunkt, die Ausdehnung des Raums zu erfassen. Das im Bilderschauen geschulte Auge ergänzt dabei wie von selbst die fehlenden Raumlinien. Wie  beispielsweise in der Optical-Art häufig vorgeführt, reicht es aus, dass verschieden große Elemente im Bild zu sehen sind sowie Überschneidungen, um eine räumlich Wirkung für den Betrachter herzustellen. Während die Optical-Art auf ungegenständlicher Ebene intellektuell über die sich ständig unbewusst einmischende Prägung des Auges aufklärt, überträgt Reck dieses Verfahren auf fotografisch Abgelichtetes. Die nackten Körper befinden sich nicht mehr in einem Raum, sondern sie bilden ihn selbstständig im Zusammenspiel. Der Raum ist nicht mehr etwas, was die Körper umgibt, sondern etwas, was im Betrachter selbst erst entsteht. Man kann sein Auge noch so sehr anstrengen, es ist kaum möglich die Akte zu sehen, ohne gleichzeitig eine räumlich Zuordnung vorzunehmen und den Raum als einen rechteckig in die Tiefe sich erstreckenden zu identifizieren. Und dennoch schwankt das Auge, es macht einen in stetigem Rhythmus darauf aufmerksam, dass diese Körper seltsam zu schweben scheinen. Schaut man sich den Aufbau der Fotografie genauer an, so erkennt man, dass der Raum sich als ein innerer zu verstehen gibt. Die drei vorderen liegenden Akte führen nicht nur in den imaginären Raum ein, sondern provozieren durch das Fehlen der Köpfe eine Identifizierung mit dem Model. Es ist so, als ob man wie das Model selbst in den Raum blickt. Es ist dann ein Raum, der eine innere Bühne darstellt, auf der sich das Model selbst präsentiert. 

 

Die Aktornamente und Akttapeten weisen einen anderen Umgang mit dem Raum auf. Zwar bestehen die Akttapeten aus einzelnen Aktornamenten, doch werden diese einzeln und sehr viel größer präsentiert. Während die Ornamente für die Tapete in ihrer Binnenstruktur flach konstruiert sind und wenig Tiefenwirkung entfalten, sind die Aktornamente vor allem durch den Einsatz des Lichtes sehr viel plastischer herausgearbeitet. Durch extreme Perspektiven und Streiflichtbeleuchtung der Körper entsteht eine übersteigerte Tiefenräumlichkeit, die durch die Größe von 50 x 50 cm noch einmal erhöht wird. Auch diese Serien besitzen zumeist einen schwarzen nicht definierten Umraum. Indem jedoch die Körper gespiegelt und um das Bildzentrum herum angeordnet werden, kann der schwarze Hintergrund nicht mit imaginierten Informationen zu einem real möglichen Raum verwandt werden. Der Körper ist aus einem räumlichen Szenario herausgerissen und kann dadurch erst zu seiner ornamentalen Wirkung gelangen. Der Betrachter ist so wieder hin und her gerissen zwischen zwei Modi des Sehens: Der tiefenräumlichen Wirkung der fotografierten Körper und der symmetrisch gespiegelten,  in sich geschlossenen ornamentalen Wirkung. Ein schwankender Blick zwischen Realität und Abstraktion. Dieser Ornamentcharakter wird in den Tapeten noch gesteigert. Die Ornamente sind nicht nur kleiner, so dass die eben beschriebene Wirkung sich erst einstellt, wenn man direkt vor der Wand steht und diese nicht mehr im Ganzen überblicken kann, sondern eben auch ineinander greifend in großer Anzahl nebeneinander. Daraus ergibt sich eine grundlegend andere Beschäftigung mit dem Raum. Die Ausdehnung des Bildes auf die Wand, die Verweigerung eines Rahmens, der eine räumliche Binnenstruktur ermöglichen würde, katapultiert den imaginären Raum eines Bildes heraus in die Realität. Nicht mehr die Einfühlung in etwas nur sich Vorzustellendes passiert dem Betrachter, sondern der Ausstellungsraum selbst ist der nun real erlebbare Raum. Man befindet sich im Kunstwerk, man ist umgeben und ein Teil dieses Raums. 

 

Facetten der Wiederholung 

 

Zwei Modi der Wiederholung können im Werk von Markus Reck unterschieden werden: Die Wiederholung, die sich auf einzelne Konstanten stützt, sich jedoch gerade aus der Differenz speist und die exakte Wiederholung, die Variation ausschließt. Die erste Art der Wiederholung ist Bestandteil der „Akträume“ wie auch der „Aktmultiples“. Darin wird simultan dieselbe Person gezeigt. Jedoch erscheint dieselbe Person immer ganz anders. Die Gleichzeitigkeit ein und derselben Person ist jedoch nicht nur eine Ausgeburt digitaler Bearbeitungsmöglichkeit. Als fester Bestandteil des Konzepts der Serie der Akträume hat das Modell freie Hand in der Art und Weise wie es sich vor der Kamera gebärdet, um den Raum zu definieren. Im „Aktraum V“ kann man so ein facettenreiches Spiel der Inszenierung zwischen Exposition, die Kamera pinupgleich ansprechend, und intimer Introspektion erleben. Die verschiedenen Ansichten ein und desselben Körpers geben dann die Möglichkeit, den Körper von allen Seiten her zu sehen und enthalten eine Tendenz zur sukzessiven Erschließung des Körpers. Obwohl die Akte sich nicht wiederholen, enthält auch diese Fotografie eine Symmetrieachse, die durch die Mitte des Bildes von oben nach unten verläuft. Dadurch entsteht eine stabilisierende Wirkung, die jedoch durch Irregularitäten einer Klarheit des Blicks entgegen wirkt. 

Dieser Art der Wiederholung stehen die Aktornamente und Akttapeten gegenüber. Es geht hier um exakte Wiederholung: Das Selbe nicht etwas anders, sondern exakt gleich. In den einzelnen Ornamenten wird nicht nur derselbe Körperausschnitt konzentrisch um die Mitte wiederholend gelegt, sondern diese sich wiederholenden Elemente sind in sich noch einmal verdoppelt mittels der Spiegelung. Es greifen also zwei Arten der Verdoppelung ineinander. Beide beruhen auf der Ausschließung von Differenz und etablieren zwei Spiegelachsen. Eine durch das gespiegelte Körperfragment und eine zwischen den in sich gespiegelten Bildelementen. Im  „Aktornament XVIII (Tempelritterkreuz)“ sieht man achtmal denselben Körper, viermal gespiegelt und dann noch viermal um ein Zentrum wiederholend angeordnet. Diese sich selbst repetierend in sich verschachtelten Elemente stehen nicht für sich, wie in den Akträumen die einzelnen Körper eine Eigenständigkeit beanspruchen, sondern fügen sich zusammen zu etwas Neuem, dem Ornament. 

Diese Spirale der Wiederholung, welche Einzelteile zu etwas größerem Eigenständigem zusammenfasst, bekommt eine weitere Windung durch die Akttapeten. Das Neben-, Über- und Untereinander der gleichen Ornamente führt aus der Binnenstruktur des Zusammengesetzten heraus und offeriert eine sich unendlich ausbreitende Wiederholung. Für diese Wiederholungen verwendet Reck Ornamente, die weniger als in sich geschlossene Einheiten aufgebaut sind, wie es häufig bei den Aktornamenten der Fall ist, sondern Ornamentformen, die ineinander greifen, um dadurch ein endloses Mäandern zu ermöglichen.1 Die Abstraktion, die daraus folgt, ist gerade nicht dadurch bestimmt, dass eine sich immer weiter steigernde Vereinfachung vom Gegenstand erfolgt, sondern dass eine individuelle, mimetische Erscheinungsform über die Operation verschiedener Wiederholungen zu einem abstrakten ornamentalen Muster zusammengefügt wird, das sowohl an Design der 60er Jahre erinnert wie es auch Assoziationen an orientalische Verzierungsformen hervorrufen kann. Recks Akttapeten zeichnen sich also gerade dadurch aus, dass sie sowohl gegenständliches Bild als auch abstraktes Ornament in sich vereinigen.

 

Die beiden Modi der Wiederholung kommen als Struktur auch außerhalb der jeweiligen Kunstwerke vor. So lässt sich Recks Arbeitsweise als seriell charakterisieren. Vordefinierte Rahmenbedingungen stellen eine Einheitlichkeit der einzelnen Serien sicher und legen den Grundstein für die Variationen, die darauf erfolgen können. Die exakte Wiederholung durch Spiegelung und Kopie hingegen reflektiert das Medium der Fotografie als unendliche Reproduktionsmaschine, die dann auch ihre Entsprechung in der Herausgabe von Editionen der jeweiligen Werke findet: Das Original wird sowohl innerhalb des Bildes, wie auch auf die fertig bearbeitete Fotografie selbst bezogen, abgelehnt.  

 

 

 

1 Hierin unterscheiden sich die Arbeiten von Markus Reck von denen der Künstlerin Claudia Rogge (*1965). Diese wiederholt zwar auch in ihrer Serie „Rapport“ Körper oder Körperfragmente, um eine ornamentale Wirkung zu erzielen, jedoch sind die Körper für sich noch nicht durch Spiegelung auf ein Ornament hin angelegt und ihre Bilder bleiben von Rändern begrenzt. Vielmehr besteht eine Verwandtschaft zu Tapeten der Künstlerin Kassandra Becker (*66). Ihre „Rosa Tapete“ (2000) zeigt beispielsweise eine fotografierte Skulptur so multipliziert, dass eine sich flächig ausbreitende ornamentale Struktur entsteht.

 

 

Quelle: Dangel, Samuel, Raum und Wiederholung in den Fotografien von Markus Reck, in:  Ausst. Kat. akträume – fotografien von markus reck, hrsg. v. Die Zeitgenossen, Freiburg i. Br. 2009, S. 21-26.